Eine Liebeserklärung

Was kann man schimpfen über diese Stadt. Über die unfreundlichen Kellner, die ständigen Absperrungen, die den Passanten zu Umwegen zwingen, und die allgegenwärtigen Polizisten, die Kälte im Winter und die Hitze im Sommer und in der Metro.

Es nervt, wenn zu Stoßzeiten in der Metro wieder einmal die dritte Rolltreppe aus unerfindlichen Gründen nicht in Betrieb ist, sie, damit sich auch ja niemand über den Willen der uniformierten Frau im Aufsichtsglaskasten hinwegsetzen kann, mit einem extra Gitter abgesperrt ist, und die Menschenmengen sich schon fast bis zum Bahnsteig stauen. Es ärgert mich, dass Fußgänger durch dunkle, nach Urin und Alkoholausdünstungen stinkende Unterführungen gehen müssen, um die Straßen zu überqueren und nicht einfach mal an der Oberfläche, aus einer Laune heraus, die Straßenseite wechseln können, weil es keine Fußgängerampeln aber dafür zuviel Verkehr gibt.
Und es lässt mich schier aus der Haut fahren, wenn die Kassiererin im Produkty mit verkniffenen Lippen meinen 1000-Rubel-Schein anschaut und sich dann dem nächsten in der Schlange zuwendet, ohne es überhaupt nur für nötig zu halten, mich über das Problem aufzuklären, das sie mit mir, meinem Geld oder meinem Einkauf hat.

Aber was mich noch viel mehr aufregt, sind Menschen, die zu Besuch in Moskau sind und sich am laufenden Band beschweren. Also irgendwie hätten sie sich das hier anders vorgestellt – mehr Kontraste und so. Wo sind denn jetzt bitteschön die ganzen Oligarchen mit ihrem Reichtum? Und so richtig „schön“ sei Moskau ja nun nicht, St. Petersburg hingegen …

Seht ihr denn nicht, wie wunderbar die Türme von Moskwa City in der Abendsonne glänzen, wenn man oben auf den Sperlingsbergen sitzt und sich sein Feierabendbier schmecken lässt? Und wie sich die goldenen Kuppeln, die Türme der Stalinschwestern, die Straßenlaternen im Jugendstil und die rot-weißen Schlote des Wärmekraftwerkes zu einem prachtvollen und einzigartigen Gesamtbild fügen? Fühlt ihr denn nicht die Luftigkeit und Leichtigkeit im neuen Gorki-Park oder dieses Glücksgefühl, wenn man nachts im Schwarztaxi durch die erleuchtete Stadt fährt und im Radio billige russische Popmusik läuft? Habt ihr sie nicht schon nach den ersten Stunden widerstrebend ins Herz geschlossen, diese aufregende, vor Leben, Liebe und Leid nur so sprudelnde, sich ständig verändernde, arrogante und doch um Anerkennung und Zuneigung fast flehende Stadt?

Nein? Na dann fahrt doch nach St. Petersburg, spaziert zwischen den bonbonfarbenen, zuckersüßen Häuschen umher, lasst euch von den Fahrradfahrern über den Haufen radeln und schaut den Brücken beim Hoch- und Runterklappen zu. Aber lasst mir mein Moskau.

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4 Antworten zu Eine Liebeserklärung

  1. Renate Kuhn schreibt:

    Klasse!
    R.

  2. ostnomade schreibt:

    Grossartig! Sehr wahr!

  3. Sigi Aldenhoff schreibt:

    Liebe Kathrin, ein wunderschönes „Schlusswort“… obwohl Du die Stadt natürlich viel besser kennst als ich, kann ich Dir nur beipflichten!! Aber ich hatte natürlich auch die TOP- Fremdenführerin, auch wenn sie nicht Nathalie hieß!! Alles Liebe, Papa

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