Zum russischen Winter

In Russland ist es kalt, heißt es. In Russland schneit es unentwegt, heißt es. Zu sagen, ich hätte meinen Job in Moskau nur wegen des russischen Winters angetreten, wäre ein kleines bisschen übertrieben. Aber ja, ich liebe Schnee und ich habe mich darauf gefreut. Und dann das: Bis Mitte Dezember kein nennenswerter Schneefall in Moskau. Bis auf zwei oder drei Ausnahmetage war es sogar zu warm, um eine Pelzmütze zu tragen.

Alle meine winterlichen Hofnungen steckte ich in meine Reise nach Irkutsk, Anfang Dezember. Ich war gut ausgerüstet, hatte extra dicke Strumpfhosen angezogen, bei der Babuschka am Markt noch ein Extrapaar Socken aus Yakwolle gekauft und Kälteschutzcreme für die empfindliche Gesichtshaut eingepackt. Ich kam an, minus 20 Grad und Neuschnee, und ich war glücklich. Am ersten Tag. Danach kletterte das Thermometer auf minus fünf Grad, geschneit hat es nur in der ersten Nacht, in den kommenden vier Tagen fiel kein einziger kleiner Schneekristall vom Himmel. Ja wenn denn nicht einmal auf Sibirien Verlass ist!

Tief enttäuscht fuhr ich über die Weihnachtstage nach Deutschland und es passierte – kaum hatte ich die Landesgrenze überflogen, so scheint mir, muss es angefangen haben zu schneien. In Deutschland angekommen, schrieb mir eine Moskauer Freundin über Facebook, wie hoch der Schnee in ihrer Straße liegt, ein anderer berichtete von nächtlichen Schneeballschlachten auf dem Heimweg. Eiskalter Zorn ergriff mein warmes Herz, der zarte Schneefall in meiner Heimatstadt konnte mich kaum besänftigen.

Bereits Tage vor meinem Rückflug checkte ich alle paar Stunden den Wetterbericht für Moskau – dass nur bloß noch genug von dem Schnee läge, den ich so knapp verpasst hatte! Schon im Landeanflug sah ich die schneebedeckten Birkenwälder, ein zufriedenes Lächeln trat auf mein Gesicht. Und in den ersten Wochen des neuen Jahres schneite es beinahe jeden Tag. Mit Schaufeln bewehrte Männer stiegen der Redaktion aufs Dach, um es vom Schnee zu befreien, beim Joggen im Wald knirschte es unter meinen Schuhen, auf dem Weg in die Arbeit würden mir Schneeflocken in den Kaffee fallen, wäre kein Plastikdeckel darüber.

Es ist ein Traum – und das Beste: Das war erst der Anfang. Vor April ist mit Frühling nicht zu rechnen! Es ist mir auch ganz egal, dass ich in der Fallstudie, die meine Mitbewohnerin und ich diesen Winter führen – Knie oder Hand müssen den Boden berührt haben, sonst gilt’s nicht – mit 3:1 vorne liege. Ich mag verschneite Gehwege! Und in den kommenden drei Monaten lerne ich sicherlich auch diesen schleichenden, leicht schwebenden Gang von den Russen, gewöhne mich an Permafrost auf dem Bürgersteig und kann bald mit hohen Absätzen gefrorene Seen überqueren.

Für die nächsten Tage sagt der Wetterbericht minus 20 Grad und Sonnenschein an. Er ist endlich da, der russische Winter.


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5 Antworten zu Zum russischen Winter

  1. Karin Aldenhoff schreibt:

    ein schöner Artikel
    Grüße Mama

  2. Sigi Aldenhoff schreibt:

    Hallo Katze, super Artikel, stilistisch und inhaltlich! Besonders gelacht habe ich über die „Fallstudie“! Sensationell, wie wir in der Band immer gern sagen!
    Liebe Grüße,
    Papa

  3. Beate Zwiauer schreibt:

    Hallo Kathrin,

    ein wunderbarer Artikel! Wenn der Winter in Moskau bliebe, wär es schon recht. Aber so, wie es aussieht, kommt er auch zu uns, brrrr !!! Ich bin sicher, einige von uns sind da nicht so begeistert.
    Ich hab schon geglaubt, ich komm dieses Jahr um den Winter herum.. 😉

    Liebe Grüße, Beate

  4. Christian Aldenhoff schreibt:

    😀 Die Fallstudie ist echt cool, könnte von mir sein 😉

  5. kathrinaldenhoff schreibt:

    Inzwischen führe ich leider schon mit 4:1, aber vielleicht holt Diana auf, während ich in Deutschland bin 🙂

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